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Newsletter vom September 2019 / VM Region Bern Nord

«Verkehrsmanagement ist über Parteigrenzen hinweg akzeptiert»

Zollikofen ist ein Strassendorf. Kaum eine andere Gemeinde in der Agglomeration Bern wird so vom durchfahrenden Verkehr geprägt. Kein Wunder, dass hier die Erwartungen an das Verkehrsmanagement besonders gross sind. Ein Gespräch zwischen Daniel Bichsel, Gemeindepräsident von Zollikofen, und Kantonsoberingenieur Stefan Studer.

Newsletter vom September 2019, Projekt Verkehrsmanagement Region Bern Nord

Herr Bichsel, wie häufig stecken Sie im Stau auf Ihrem täglichen Arbeitsweg?

Bichsel: Mein Arbeitsweg ist kurz und er führt glücklicherweise nicht über die Bernstrasse, wo die Autos zu Pendlerzeiten nur zähflüssig vorankommen. Wohnen und Arbeiten am gleichen Ort, das ist ein Motto, das sich unsere Gemeinde auf die Fahne geschrieben hat – eben gerade deshalb, weil wir so viel Verkehr haben.


Rund 20 000 Fahrzeuge zwängen sich täglich durch Zollikofen. Wie stark brennt das Thema Verkehr in Ihrer Gemeinde?

Bichsel: Es ist ein ernst zu nehmendes Thema. Das zeigen die Ergebnisse unserer Bürgerumfrage, aber auch die Klagen über den Verkehr, die ich in meinen Sprechstunden zu hören bekomme. Sehr belastet ist vor allem der Abschnitt zwischen Kreuz-Kreisel und Bahnhof, was mit der rasanten Entwicklung in diesem Dorfteil zu tun hat. Hier verträgt es nicht die geringste Störung und der Verkehr bricht zusammen. So wie z. B. bei Unfällen auf der Autobahn.

Newsletter vom September 2019, Projekt Verkehrsmanagement Region Bern Nord

Herr Studer, und wie schätzt der Kanton die Verkehrssituation von Zollikofen ein?

Studer: Was Herr Bichsel sagt, bestätigen unsere Verkehrszählungen. Zur Morgen- und zur Abendspitzenstunde ist die Ortsdurchfahrt Zollikofen meist überlastet, auch Busse und Postautos bleiben im Stau stecken und können die Anschlüsse nicht gewährleisten. Genau hier setzt das Verkehrsmanagement an: Wir wollen den Verkehr so lenken, dass die Reisezeiten für Autofahrende und ÖV-Reisende verlässlicher werden und wir wollen die Ortskerne vor Überlastung schützen. Deshalb planen wir Lichtsignalanlagen, die an den Ortseingängen den Verkehr dosieren und dafür sorgen, dass der Verkehr in den Ortszentren flüssig bleibt.

Warum hat der Kanton die Region Bern Nord als Pilot für das Verkehrsmanagement ausgewählt?

Studer: Der Norden von Bern ist nicht der einzige verkehrliche Hotspot im Kanton, aber einer mit dem grössten Handlungsdruck. Dieser Druck kommt daher, dass hier das untergeordnete Strassennetz schon selber stark durch Pendlerverkehr belastet ist. Natürlich spielt auch die Nähe zur staugeplagten Autobahn A1 eine Rolle, die Ausweichverkehr generieren und so zusätzliche Belastungen auf den Ortsdurchfahrten bringen kann.


Bits and bytes statt Asphalt – so hat der Kanton das Motto des Verkehrsmanagements auch schon umschreiben. Wie kommt diese Botschaft bei Ihnen an, Herr Bichsel?

Bichsel: Klar hätten viele in Zollikofen gerne eine Umfahrungsstrasse oder einen eigenen Autobahnanschluss. Aber ich kann nachvollziehen, dass der Kanton auf Massnahmen setzt, die einfacher und kostengünstiger sind als Strassenausbauten. Verkehrsmanagement ist ein gutes Beispiel dafür. Das Projekt ist dank der technischen Entwicklung wesentlich günstiger geworden als noch vor einigen Jahren veranschlagt. Das freut mich nicht zuletzt auch in meiner Funktion als Präsident der Finanzkommission im Grossen Rat.

Studer: 10 Millionen sind zwar ein stolzer Betrag, aber wenn man in Betracht zieht, dass eine ganze Region vom Verkehrsmanagement profitiert, so ist das im Vergleich zu Strassenausbauten tatsächlich sehr kostengünstig.


Herr Bichsel, was versprechen Sie sich vom Verkehrsmanagement Region Bern Nord?

Bichsel: Ich erwarte, dass der Verkehr flüssiger durch Zollikofen zirkulieren wird als bisher. Auch hoffe ich, dass sich dadurch die oft aufgeheizte Stimmung in Verkehrsfragen etwas beruhigt und öffentlicher und privater Verkehr weniger gegeneinander ausgespielt werden. Unser Verkehrssystem funktioniert nur im Zusammenspiel. Verkehrsmanagement trägt dem Rechnung, weil von den geplanten Massnahmen alle Verkehrsteilnehmenden profitieren.


Hören Sie auch kritische Stimmen zu den geplanten Massnahmen?

Bichsel: Ein Stammtischthema sind die zusätzlichen Lichtsignale, die zur Dosierung des Verkehrs geplant sind. Da sind einige skeptisch, weil sie gedanklich Ampeln mit langem Warten in Verbindung bringen. Wichtig ist, dass wir die angrenzenden Gemeinden ausserhalb des Projektperimeter nicht vergessen. Dort befürchten einige, dass sich der Verkehrsstau weiter nach aussen verlagert. Ich hoffe, dass man diese Ängste wird zerstreuen können, wenn klare Fakten aus den Verkehrszählungen vorliegen.

Studer: Ich kann die Skepsis verstehen. Allerdings gilt es zu bedenken, dass die Ampeln nicht «dumm» sind wie früher, sondern dank der Vernetzung mit dem zentralen Verkehrsrechner sehr flexibel auf die Verkehrssituation reagieren können. Bei viel Verkehr helfen sie mit, den Verkehr so zu steuern, dass hoffentlich alle schneller an ihr Ziel gelangen. Bei geringem Verkehr, und das wird auch tagsüber der Normalfall sein, sind sie ausgeschaltet.


Die Erwartungen an das Verkehrsmanagement sind gross. Was kann es – und was nicht?

Studer: Verkehrsmanagement kann und will Autos nicht in Luft auflösen, aber es kann dazu beitragen, das bestehende Strassennetz besser auszunutzen und den Verkehr für uns alle verträglicher zu machen. Klar, den Tatbeweis müssen wir erst noch erbringen. Nicht alles wird von Beginn weg reibungslos funktionieren, aber ich bin überzeugt, dass es sich um eine sehr sinnvolle Investition in unsere Verkehrszukunft handelt.


Verkehr ist bekanntlich ein emotionales Thema, das stark polarisiert. Wie erleben Sie das beim Projekt Verkehrsmanagement Region Bern Nord?

Bichsel: Mir scheint, dass viele froh sind, dass etwas in dieser Richtung unternommen wird. Optimistisch stimmt mich auch der Umstand, dass Verkehrsmanagement über Parteigrenzen hinweg akzeptiert zu sein scheint. Das ist bei Verkehrsthemen sonst selten der Fall. Auch habe ich die Zusammenarbeit mit dem Tiefbauamt, dem Bundesamt für Strassen und den Nachbargemeinden bisher sehr konstruktiv erlebt.

Studer: Das erlebe ich zum Glück genau gleich, obschon es im Projekt einige Knackpunkte mit den Gemeinden gab und noch geben wird. Verkehrsmanagement ist für das Tiefbauamt auch punkto Zusammenarbeit ein Pilotprojekt: Bisher haben wir mit Gemeinden vorwiegend bilateral zusammengearbeitet. Hier haben wir erstmals ein Projekt lanciert, wo wir mit sieben Gemeinden und dem Bundesamt für Strassen gemeinsam zusammenspannen. Ich denke, dies ist zukunftsweisend.

Verkehrsmanagement Region Bern Nord – der aktuelle Stand

  • www.bve.be.ch/vm-region-bern-nord

In den Ortszentren der Gemeinden im Norden von Bern staut sich der Verkehr tagtäglich. Dies verursacht Lärm und schlechte Luft und beeinträchtigt den öffentlichen Verkehr sowie den Fuss- und den Veloverkehr. Mit dem Projekt Verkehrsmanagement Region Bern Nord will der Kanton dieser unbefriedigenden Situation Abhilfe schaffen. Er setzt dabei auf Intelligenz statt Beton – mit grossräumiger, koordinierter Verkehrssteuerung und -lenkung statt mit Strassenausbau.

In der aktuellen Phase geht es jetzt bis im Frühling 2020 darum, die nötigen technischen und baulichen Elemente und Leistungen zu beschaffen, die für das Funktionieren des Verkehrsmanagements nötig sind. Dabei geht es sowohl um Hardware wie um Software. Eine öffentliche Auflage des Projekts ist nicht nötig, weil das Projekt keine Baubewilligung braucht.

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Weitere geplante VM-Projekte in der Region Bern

Das Verkehrsmanagement Region Bern Nord ist das erste von mehreren VM-Projekten, die in den nächsten Jahren in der gesamten Region Bern umgesetzt und aufeinander abgestimmt werden. Unter der Federführung des Tiefbauamtes Kanton Bern werden die einzelnen Projekte in Zusammenarbeit mit den betroffenen Regionsgemeinden, den Transportunternehmungen und dem Bundesamt für Strassen erarbeitet.

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Permanente Zählstellen liefern detaillierte Verkehrsdaten

Je umfangreicher und genauer die Verkehrsdaten sind, umso besser wird das System den Verkehr beeinflussen können. Im Rahmen des Projekts werden auf dem Kantonsstrassennetz der Region 13 neue permanente Zählstellen eingerichtet, vgl. Karte.

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An diesen Stellen soll der Verkehr in der Region Bern Nord erfasst werden.

Weitere Zählstellen, die nur temporär messen und keine baulichen Massnahmen bedingen, sind auf Nebenstrassen innerhalb und ausserhalb des Projektgebietes vorgesehen. Diese tragen den Bedenken von Gemeindevertretern Rechnung, die Ausweichverkehr auf Quartier- und Nebenstrassen befürchten. Deshalb arbeitet der Kanton derzeit mit den Gemeinden ein Konzept für temporäre Verkehrszählungen auf möglichen Ausweichrouten aus.

Schleifen im Belag

Baulich besteht eine permanente Zählstelle aus vier Schleifen, die in beiden Fahrtrichtungen in den Strassenbelag eingebaut werden. Ein Zählgerät neben der Strasse sendet die Daten dann über eine mobile Funkverbindung an einen zentralen Rechner. Die vier Kontaktschleifen können weit mehr als nur den Verkehr zählen. Sie unterscheiden nicht nur zehn verschiedene Arten von Fahrzeugen (z. B. mehrachsige Lastwagen, Lieferwagen, Autos mit und ohne Anhänger), sondern dank der Doppelschleife auch deren Geschwindigkeit. Deshalb kann eine Zählstelle zusätzlich auch Daten über den Verkehrsfluss liefern, denn tiefe Geschwindigkeiten deuten auf zähflüssigen Verkehr hin.

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Beispiel einer Zählstelle: vier im Belag eingebaute Schleifen und ein Zählgerät, das die Daten per Funk an den zentralen Rechner sendet.

Wirkungskontrolle

Der Vorher-Nachher-Vergleich von Verkehrsdaten wird dereinst für die Wirkungskontrolle wichtig sein. Diese wird Auskunft darüber geben, ob und wie sich der Verkehrsfluss verändert und allenfalls verlagert hat und ob Optimierungen resp. weitergehende Massnahmen nötig sind. Deshalb kommt der «Nullmessung» (Ist-Zustand) grosse Bedeutung zu. Gesamtprojektleiter Alain Maradan: «Auf den wichtigen Achsen möchten wir die Verkehrszahlen vor Inbetriebnahme über mindestens ein Jahr kontinuierlich erheben.» Das wird dem Kanton nicht nur zeigen, wie sich die Verkehrszahlen generell entwickeln, sondern lässt auch Auswertungen zu, wann genau die täglichen und saisonalen Spitzenzeiten sind und wie der Verkehr auf Ereignisfälle (z. B. auf einen Unfall auf der Autobahn oder auf Grossanlässe) reagiert. Für die Wirkungskontrolle wird ein System von Messgrössen entwickelt, das sich an den Leitsätzen und den Zielen des Verkehrsmanagement Region Bern Nord orientieren, vgl. Abbildung.

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So wird später die Wirkung des Verkehrsmanagement gemessen: Übersicht über Ziele und Messgrössen.

Erfassung der Reisezeit

Verkehrsinformationstafeln an wichtigen Einfallsachsen werden Autofahrende künftig bei Verkehrsüberlastung darüber orientieren, wie lange die Fahrt ins Zentrum noch dauert. Die Idee dahinter: Informierte Autofahrende akzeptieren eine Verkehrssituation besser als uninformierte. Sie neigen weniger dazu, die Nerven zu verlieren und es auf Schleichwegen zu probieren. Wichtig dabei ist, dass Autofahrende bzw. der motorisierte Individualverkehr auf den Tafeln einen Zeitvergleich zwischen Autobahn und Kantonsstrasse erhalten und auch die Gründe für verlängerte Reisezeiten kommuniziert bekommen (Unfall, Baustelle, Veranstaltung o.ä.). So sollen die Verkehrsbelastungen auf den Hauptachsen ausgeglichen und Ausweichverkehr vermieden werden.

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Vorgesehene Standorte der Verkehrsinformations-Tafeln.

Anonymisierte Datenspuren von Handys

Klar, dass die Wirkung des Verkehrsmanagements dereinst umso grösser sein wird, je verlässlicher die Zeitangaben auf den Tafeln sein werden. Informationen zu Reisezeiten wird das Verkehrsmanagement aus Daten herausfiltern, die bereits heute erfasst und für die Staudetektion und für Verkehrsmeldungen verwendet werden: Ausgewertet werden hierbei GPS-Signale, wie sie z. B. von Handys ausgesendet werden, die in den Fahrzeugen mitgeführt werden. Es handelt sich um anonymisierte Datenspuren von Verkehrsteilnehmenden, die in grosser Zahl erfasst und ausgewertet werden. Sie lassen keinerlei Rückschlüsse auf die Eigentümer dieser Instrumente zu.

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Google Maps zeigt die aktuelle Verkehrslage und nutzt dabei auch anonymisierte GPS-Daten von Handys der Verkehrsteilnehmenden.

Verkehrsflussdaten aus der Vergangenheit

Um später die Wirksamkeit des Verkehrsmanagements beurteilen zu können, wird auch für die Reisezeit der Ist-Zustand erhoben. Ausgewertet werden dabei nicht nur Daten, die im Rahmen des Projekts erfasst wurden, sondern bestehende gespeicherte Verkehrsflussdaten aus den letzten Jahren. Sie erlauben Aussagen darüber, wie rasch Fahrzeuge im nördlichen Einzugsgebiet der Stadt zu verschiedenen Tages- und Jahreszeiten bisher an ihren Zielort gelangt sind – und werden so den Vergleich mit Reisezeiten nach Inbetriebnahme des Verkehrsmanagements ermöglichen.

Weiterer Beschaffungsbedarf

Damit das VM Region Bern Nord funktioniert, braucht es einen zentralen Rechner. Geplant ist, Rechenleistungen und Speicherplatz auf einem grossen externen Server zu mieten. Diese Lösung ist kostengünstiger und bietet eine höhere Betriebssicherheit als die Beschaffung und der Betrieb eines eigenen Rechners. Sie ist auch hinsichtlich Datenschutz unproblematisch, da keine persönlichen Daten gespeichert werden.
Fällt der Rechner trotzdem einmal aus, so schalten die lokalen Lichtsignale auf ein Standardprogramm, das vorgängig bestimmt wird. Dieses garantiert in jedem Fall die Verkehrssicherheit und die Bevorzugung des öffentlichen Verkehrs.

Ein weiterer Teil der Submissionen wird die baulichen Leistungen für Anpassungen im Strassenraum betreffen (Rohranlagen, Schächte, Masten). Zuletzt werden auch die technischen Installationen wie Lichtsignalanlagen und Verkehrsinformationstafeln noch öffentlich ausgeschrieben. Wo immer möglich wird auf Bestehendes zurückgegriffen, indem bestehende Signalanlagen angepasst und ins VM-System integriert werden.

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